der zwang vom warentauschgeschäft?

01.10.2004, 17:09

ACHTUNG!
dieser text entstand 10/2004 (2. überarbeitete fassung 9/2006). bitte beachtet aber unseren neuen und verbesserten text zum thema warentausch hier.

" puh, da bin ich ja beruhigt das du nicht tauschen möchtest.
ich kann eigentlich auch gar keinen neuen stoff gebrauchen [...] "
ROSI (MY RUIN)

Damit erleichterte Rosi mich wirklich, den anfangs war ja er es, der genau das vorgeschlagen hatte: Tauschen. Die ganze Konversation brachte mich aber auch auf den Gedanken dieses Textes, das es viele Menschen gibt die diese Tauschsache (Ware gegen Ware) mitmachen, eigentlich aber überhaupt keine Lust drauf haben. Es hat sich mit dem Warentausch etwas durchgesetzt, was sich wohlmöglich für viele in der Praxis als unvorteilhaft, hinderlich oder negativ auswirkte.

Tauschen an sich, klingt das nicht erst mal völlig okay? Hat Tauschen nicht einen wichtigen symbolischen Charakter? Kann man sich im DIY Punkrock-Showbiz damit nicht aber zeigen, dass man auf Geld eigentlich keinen Bock hat? Nein! Der symbolische Wert ist keiner. Es wird nur ein Fetisch symbolisiert, etwas was es nicht (mehr) gibt. Der Symbolismus ist nichts weiter als eine Halluzination. Das zeigt sich schon daran, dass sowohl das Geschäft Ware gegen Ware als auch selbiges mit Ware gegen Geld gleichermaßen ein Tausch ist. Wer nach einem Tausch fragt und damit meint, das Geld ausschließen zu können irrt. Was hat sich also für ein Mythos in der Punkszene breit gemacht? Und warum machen es alle, wobei es

Das kapitalistische Denksystem lebt in der praktischen Umsetzung des Tauschens fort. Alle Waren werden von den Tauschpartnern in Währungseinheiten gemessen und dann gegeneinander verrechnet. es kann also vorausgesetzt werden, dass beim Warentausch gleiche Werte getauscht werden, dass also Äquivalententausch stattfindet. Das Maß der Werte und der Maßstab der Preise ist das Geld. Geld wird unter Ökonomen übrigens auch als Ware gesehen. Eine Ware, die aber anders ist als alle anderen. Während die übrigen Waren ein besonderes Bedürfnis befriedigen müssen (das macht ihren Gebrauchswertcharakter aus), befriedigt Geld das allgemeine Bedürfnis, gegen alle anderen Waren austauschbar zu sein. Oder: weil alles dafür zu haben ist, nimmt es jeder. Geld selbst ist also auch ein Tauschmittel. Es gibt keinen Unterschied, ob man die Waren tauscht oder dafür Geld entgegen nimmt.

Essen oder Warentausch?
Es gibt einige, die können nicht verstehen, dass es einfach auch mal einfach richtig mies ist, wenn du durch Plattentauscherei am Ende zwar ganz viele Schallplatten hast, aber überhaupt nicht mehr deine eigenen, die du veröffentlicht hast, vertreiben und verkaufen kannst. Ich bekomme einfach für eine Platte gerne das Tauschmittel Geld und kaufe mir statt einer neuen Platte dafür mal ein Brot, Aufstrich oder etwas anderes.

Der unausgesprochene Zwang
Die Platten welche ich von anderen weiter verkaufen möchte suche ich mir dabei lieber eigenhändig aus. Klaro bekomme ich gerne Empfehlungen oder mal nen Song zugesteckt. Aber wenn jemand ich von jemandem eine Schallplatte kaufen möchte, drücke ich mich nicht vor der Realität und verweigere dem Partner Geld für seine Ware, indem ich meine Veröffentlichungen dazwischen schiebe. Möchte jemand meine Platten haben, wird er oder sie schon selber drauf kommen.

Ich hatte schon von total netten Menschen die frage: "Wollen wir tauschen. Ist das okay für dich?" Eine Frage auf die es üblicherweise zwei Antwortmöglichkeiten gibt. Als ich mich dann für ein begründetes "Njet" entschied, machte sich Enttäuschung breit. Ja, sogar andere Leute klinkten sich ein und fragten vorwurfsvoll: "Du willst nicht tauschen ... ?" Nein, weil ich halt einfach noch eine Entscheidung für mich fällen können möchte, ohne dabei ein komisches Gefühl vermittelt zu bekommen. Nein, weil Tauschen umständlich und zu kurz gedacht halte. Weil es mich unter einen gesteigerten Leistungsdruck in den ohnehin schon prekären Verhältnissen setzt. Tauschen hat etwas mit Selbstaufgabe zu tun. Diese kann jeder ausüben, jedoch nicht auf sich selbst denn auf andere.

Am Ende bist du für den Verkauf von anderen Platten anderer Bands und Labels verantwortlich, um das Geld für deine Platten wieder zu bekommen. Und bei dem Spiel bin nicht nur ich der Loser, sondern vor allem die Band. Der Verkauf anderer Platten hängt schließlich nur begrenzt von meinem eigenen Zutun wie einer Beratung am Plattenstand ab. Auf Promo, Touren und anderen Zirkus habe ich überhaupt keinen Einfluss. Möchte ich auch nicht, sonst hätte ich ja die entsprechende Band auch raus gebracht welche mir nun angedreht worden ist. Aber geht es nicht um eine Solidaritätsbekundung, mit der man sich zeigt wie wichtig man sich ist? Geht es nicht um den Vernetzungscharakter? Nein! Solidarität wird ja hiermit gerade abgeschnitten. Ist die Platte erstmal getauscht, habe ich mit dem Tauschpartner nichts mehr zu tun. Die Beziehung und die Vernetzung wird somit auf ein absolutes Minimum reduziert, welches sich nur auf den Zeitpunkt des Tausches selbst konzentriert. Ob der Tauschpartner auf meiner Platte sitzen bleibt, kann mir völlig egal sein. Einzig und alleine zählt, dass ich seine Platte an den Mann oder die Frau bringe. Das ist für mich aber keine Solidarität, sondern eher eine Form von Notstandswirtschaft.

Ich spreche mich hier also nicht gegen Solidarität oder Vernetzung aus. Ich möchte nur davor warnen, dass ich diese als solche suggerierte Verfahrensweise als die Falsche ansehe. Vernetzen und solidarisch miteinander umgehen würde für mich bedeuten, die Bedingungen derart auszugestalten das man sich gegenseitig unterstützt, auch und vor allem über einen längeren Zeitraum hinweg. Vernetzung ist auf andere Art und Weise durchführbar, nicht aber durch Tauschen. Und bei wem da ein ideologischer Funke mitschwebt, das die Vernetzung was am System ändert ? DIY-Menschen meinen ja eh und überhaupt, irgendwelche Kreisläufe und Strukturen zerbrechen zu können ? ist das eigentliche Problem. Wie soll das gehen, wenn man selbst ein Teil im Kreislauf und der Struktur ist? Unabhängigkeit darin ist ein Mythos. Richtig ist, dass man erreicht sich selbst zu zerbrechen bzw. es von Einzelnen zu fordern ? für die ?gute? Sache, für die ?Szene?. Da aber jeder im System ersetzbar ist, kümmert das die Verhältnisse einen feuchten Kehricht.

Tausch zum eigenen Vorteil verhindern
Oftmals ist es die Ungleichgewichtigkeit, welche sich dahinter erschließt. Das führt schnell zur einseitigen Bevorteiligung. Am besten weg kommt bei einem Tausch schließlich der oder die, welche ein möglichst schlechtes bzw. veraltetes Produkt gegen ein möglichst hochwertiges bzw. aktuelles eintauscht.

Gegenseitige Komissionsdeals sind genauso fair als reiner Warenaustausch. So hat einfach jeder die Möglichkeit, seine Platten am Ende wieder unkompliziert zurück holen zu können (ohne umständlichen Rücktausch), wenn die Platten beim anderen eh nicht verkauft werden würden. Außerdem bekommst du einfach für deine Platten die kohle, wenn sie auch tatsächlich verkauft sind. Immerhin ist das ja nicht nur mein Geld, sondern da steckt auch Geld von der Band selbst oder anderen Unterstützern mit drin. Die müssen damit ja vielleicht auch noch das Studio und anderes bezahlen. Ich kann damit einfach nicht glücklich sein, wenn eine unserer Labelbands erst ihr Geld bekommt, wenn ich eine Platte einer ganz anderen Band verkauft habe. Da stimmt einfach nichts mehr, verzerrt alles. Es ist auch für Abrechnungen am Ende überhaupt nicht mehr nachvollziehbar...

Diese Verzerrungen haben ihre Wurzeln in den kapitalistischen Rahmenbedingungen.

? Meiner Meinung nach sind wir alle Teile des kapitalistischen Systems.
Kapitalismus umgibt uns alle, es gibt kein "außerhalb des Kapitalismus"
DENNIS LYXZEN

Selbstverständlich darf die von Lyxzen geäußerte Tatsache nicht zum Anlass genommen werden, sich der kapitalistischen Logik kritiklos auszuliefern, weil wir ja " e h davon umgeben" sind. Doch wir müssen uns darüber bewusst werden, dass wir durch Warentausch den Kapitalismus nicht abschaffen können. Das ist utopisch-verträumt. ?Die Kapitalismusanalyse vermag die Möglichkeit der Aufhebung zu erweisen, und in dieser Bezugnahme auf das Bestehende unterscheidet sich die Kritik des Kapitalismus von der Formulierung einer bloßen Utopie. [?]. Die Grundform dieses Aktes ist der Moment der Außerkraftsetzung der Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise - die Revolution.? *

Die Menschen, welche mir bisher Tauschgeschäfte angeboten hatten, vermittelten den Eindruck, den Spielraum, der durch Kapitalismus geboten wird, freudig zu nutzen. Wir müssen dennoch schauen, dass wir mit den Verhältnissen, in denen wir jetzt leben und der Theorie, die wir verwirklichen wollen, klar kommen. Träume und Gefühle sind wichtig, aber sie müssen auch theoretisch gefasst und greifbar sein. Im kapitalistischen Spielraum seine Anarcho-Träume zu leben mag schön aussehen, bringt aber keinen einzigen Schritt nach vorne. Es gilt weiterhin, Alternativen aufzubauen und zu unterstützen und dazu brauchen wir Träume. Nur müssen wir dabei alle aufeinander Rücksicht nehmen, dass niemand unter die Räder gerät und alles ehrlich und fair und in gegenseitiger Verantwortung zu einander bleibt. Denn die Aufhebung des Kapitalismus erfolgt nur eben nicht automatisch, sondern muss gewollt werden und planmäßig ins Werk gesetzt, nicht als individueller Akt, das führt in die Verelendung, sondern als gemeinsamer!** ?Das Mißtrauen gegen den der Praxis Mißtrauenden reicht von solchen, welche die alte Parole »Genug des Geredes« auf der Gegenseite nachreden, bis zum objektiven Geist der Reklame, die das Bild - das Leitbild nennen sie es - des aktiv tätigen Menschen, sei er Wirtschaftsführer oder Sportsmann, verbreitet. Man soll mitmachen. Wer nur denkt, sich selbst herausnimmt, sei schwach, feige, virtuell ein Verräter. Das feindselige Cliche des Intellektuellen wirkt, ohne daß sie es merkten, tief hinein in die Gruppe jener Oppositionellen, die ihrerseits als Intellektuelle beschimpft werden. Von denkenden Aktionisten wird geantwortet: zu verändern gelte es, neben anderem, eben den Zustand der Trennung von Theorie und Praxis. Gerade um der Herrschaft der praktischen Leute und des praktischen Ideals ledig zu werden, bedürfe es der Praxis. Nur wird daraus fix ein Denkverbot. Ein Minimales reicht hin, den Widerstand gegen die Repression repressiv gegen die zu wenden, welche, sowenig sie das Selbstsein verherrlichen mögen, doch nicht aufgeben, was sie geworden sind. Die vielberufene Einheit von Theorie und Praxis hat eine Tendenz, in die Vorherrschaft von Praxis überzugehen. Manche Richtungen diffamieren Theorie selber als eine Form von Unterdrückung; wie wenn nicht Praxis mit jener weit unmittelbarer zusammenhinge.? (ADORNO; Resignation, 1969).

Literatur: Dennis Lyxzen, ?Interview mit The International Noise Conspiracy?, erschienen im OX#56. ?Gegen Kapital und Nation - Texte und Veranstaltungen der Jungen Linken?. Nachzulesen bei www.nadir.org/nadir/initiativ/agp/de/PGAInfos/kapital.htm. Theodor W. Adorno; ?Resignation?, 1969.




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